Donnerstag, 14. August 2008

Philipp von Zesen und Priorau

Wenn uns jemand so schöne Eindeutschungen wie “Augenblick” (Moment) und “Mundart” (Dialekt) beschert und sich so schöne Worte wie “Meuchelpuffer“* für Pistole und “Jungfernzwinger” für Kloster einfallen lässt, dann sollte man ihn nicht vergessen, auch wenn er schon über 300 Jahre tot ist. Die Rede ist von Philipp von Zesen. Geboren wurde er 1619 in dem zwischen Dessau und Raguhn gelegenen Örtchen Priorau. Der Bürgermeister, den ich anrufe, um zu erfahren, ob es dort etwas zur Person zu sehen gibt, ist zuerst ein wenig misstrauisch, als ich sage, dass ich ihn morgen besuchen käme, erklärt mir dann aber - ungefragt - eine Menge. Nein, es gebe hier eigentlich nur zwei Gedenktafeln - eine an Zesens Geburtsstätte (“Es ist die Geburtsstätte, nicht das Geburtshaus. Das ist abgebrannt.”) und eine auf dem Philipp-von-Zesen-Gedenkweg. Dieser wurde im November 1989 anlässlich seines 300. Todestages eingeweiht. Anderswo gehen die Grenzen auf, denke ich, und hier weiht man einen Gedenkweg ein - das ist schon komisch. Der Weg erweist sich dann eigentlich als Mogelpackung. Er führt von Raguhn bis kurz vor Dessau, am Rande der Muldeaue entlang, ist recht hübsch, ja, aber von dem, dessen gedacht wird, nur eine klitzekleine Spur:

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* Merkwürdigerweise akzeptiert sogar die Rechtschreibprüfung meines Rechners dieses Wort.

Die Geburtstätte: Das Haus liegt in einer “Schlippe“, wie ich erfahre. Ansonsten wissen auch die Einwohner Prioraus nicht viel von ihrem berühmtesten Sohn. Nun, das kenne ich, das geht mir auch nicht viel anders. Jedenfalls weiß ich jetzt, was eine “Schlippe” ist: ein enger Durchgang. Überhaupt die Mundart: Man sagt hier “Pooch” und “Gootsche”, wenn man “Pouch” und “Goitzsche” meint und ist überhaupt ziemlich lässig mit der deutschen Sprache. Kein Wunder, so kurz vor Sachsen. “Das daderzu” heißt es, wenn eine Erklärung abgeschlossen ist. Aber ein freundlicher, auskunftsbereiter Menschenschlag ist es auf jeden Fall. Das zuallererschte Mal daderzu.

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Montag, 4. August 2008

Kopenhagen und Møn

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Dass Erinnerungen täuschen, ist eine Binsenweisheit. Wie deutlich das geschehen kann, ist aber schon erstaunlich. Im Sommer 1982 war ich zu einem Wettkampf in Kopenhagen, also vor ziemlich genau 26 Jahren.
Kopenhagen hat mich damals sehr beeindruckt, ich fand es auf eine angenehme Art provinziell. Sicher ist meine Erinnerung wie bei allen Ossis meines Jahrganges auch von den Olsenbande-Filmen geprägt. Außerdem war es noch eine Westreise und wir hatten unsere Rennen allesamt gewonnen - Voraussetzung genug für eine tiefrosarote Brille.
Jedenfalls habe ich dieses Kopenhagen nicht wiedergefunden. Und heute? Menschenmassen auf dem Rathauspladsen und im Tivoli, Schwule auf dem Klo des Oersted-Parks, unverschämte Preise für Parkplätze, die dennoch heiß begehrt sind, junge Leute, die mit einer Arschbombe die Touristen in ihren offenen Booten nass spritzen, viele Museen (überhaupt Kunst & Krempel), Asiaten, welche die Lille Havfru belagern, so dass kein vernünftiger Schnappschuss möglich ist, Picknicks und Sonnenbadende auf allen verfügbaren Grünflächen - ein ganz anderes Kopenhagen. Jung und lebenslustig, aber auch laut und hektisch, und an diesem Sonnentag beinahe mediterran. Eine europäische Großstadt eben. Aber so ist das mit Erinnerungen - man muss schon ein wenig mutig sein, wenn man sie an der Gegenwart messen möchte. (Und es funktioniert ja auch nie.)
Für den nächsten Besuch: Die beste Variante erscheint mir, Kopenhagen an zwei, drei Tagen mit dem Fahrrad zu erkunden.

Einen Tag später das Kontrastprogramm: Møn . Møn ist unbedingt eine Reise wert, wenn auch sicher kein Geheimtipp mehr. Statt vieler Worte ein Foto von Møn s Klint. Siehe oben.

Donnerstag, 10. Juli 2008

Bibereck und Judennase

Als ich vor fast zehn Jahren in den Verein eingetreten bin, war stets vom “Bibereck” die Rede. Gemeint ist ein scharfer Knick in der Alten Elbe unweit des Pretziener Wehres. Der dahinter liegende Damm macht den Knick nicht mit so dass sich vor ihm eine recht große Wiese befindet, die auch bewirtschaftet wird.
Seit einiger Zeit höre ich von älteren Semestern (aber nicht nur von denen) immer mal “Judennase” statt “Bibereck”. Diese Gehässigkeit dürfte wohl aus alten Zeiten stammen.
I. hat es am letzten Wochenende gesagt als sie davon erzählte, dass ihr Sohn dort einen Biber gesehen habe. Als ich im dann vom “Bibereck” sprach, hat sie den Ort gar nicht mehr benannt. Das war ihr wohl auch ein wenig peinlich. Aber damit wird die “Judennase” nicht verschwunden sein. Ich fürchte, überhaupt nicht mehr.

Freitag, 4. Juli 2008

Monolog in Magdeburg

Ein Arztbesuch gibt uns bisweilen tiefe Einblicke in die Psyche eines Menschen. So erlebt beim Augenarzt in Magdeburg: Eine alte Dame klaubt, vorm Garderobenständer stehend, alles an Kleidung und Utensilien zusammen, was sie mitgebracht hat.
Dabei führt sie einen inneren Monolog, den sie dankenswerter Weise auch hörbar machte:
“So.”
“So.”
“So.”
“So.”
“So.”
“Brille.”
“Brille?!?!”
“Brille!”
“So.”
“So.”
“So.”
“Auf Wiedersehen!”*

* Der Fachmann weiß es, der Laie ahnt es: Gehört nicht mehr zum inneren Monolog.

Samstag, 28. Juni 2008

Die Zeichen der Zeit

Ich habe ein merkwürdiges Verhältnis zur Veränderung: Natürlich freue ich mich über Neues, aber gerade das Verschwinden von alten Gebäuden empfinde ich oft regelrecht als Zumutung; selbst das Verschwinden von Schandflecken, wenn sie nur vertraut genug waren. Meine innere Landkarte ist ziemlich konservativ.

Magdeburg hat bekanntlich viel gelitten im Weka Zwo. Als ich am Ende der siebziger Jahre, Anfang der Achtziger in Cracau zur Schule ging, waren an meiner Straßenbahnhaltestelle immer noch die Einschüsse im Putz der gegenüberliegenden Häuser zu erkennen. Natürlich war auch damals der Krieg längst aus dem Stadtbild verschwunden, man musste schon genauer hinschauen. Aber auch heute ist immer noch letztes geblieben - siehe Foto. Ich habe es am Hassel aufgeschnappt.

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Dazu passt ein wenig folgendes Gedicht, das ich vor einigen Jahren geschrieben habe:

Noch

Am Rande der Bauwut
endet Gründerzeit
in blinder Ruine.
Auf dem grauen Putz
spricht immer noch
die Deutsche Arbeitsfront
Fraktur
in roten Lettern.
Ein eisiger Wind geht.
Aus den Fugen der Jahrzehnte
fallen Bilder,
vergilbt und verblasst.
Alte Geschichten erzählen sie-
Geschichten einer Nebenwelt
auf Zeit.

Samstag, 21. Juni 2008

Erzähl das deinem Friseur...

“Sie kriegen´s mit der Maschine, oder?” Das hört sich etwas befremdlich an, finde ich, und stört das winzige Gefühl von Exklusivität, das sich bei mir immer einstellt, wenn ich nach langer Warterei endlich dran bin. Ich habe gerade Platz genommen, die Friseurin kehrt noch letzte Haare meines Vorgängers zusammen. “Wie immer?” hätte mir besser gefallen.
“Ja”, sage ich, “neun Millimeter.“

Das Friseurgeschäft befindet sich in diesem Haus, seit ich denken kann. Vor der Wende hieß es “PGH Modische Linie”, heute nur noch “Modische Linie“. Die Friseurinnen sind alle inzwischen über 50 und bei den Kundinnen drüben im Damensalon gebe ich noch mal 20 Jahre drauf. Im Herrensalon ist das Publikum gemischt, es wohnen alte Leute in der Siedlung aus den 50ern, die sich neben Haarschnitt noch einen bisschen Zuwendung holen. Vorneweg können sie sich bei der Lektüre eines Softporno-Magazins vom Lesezirkel entspannen, die Schürzenjäger aus der Kittelschürzen-Zeit.
Eine Schule befindet sich gleich neben dem Haus, die Schulkinder lesen dasselbe, jedenfalls sieht die ebenfalls ausliegende “BussiBär” immer ladenfrisch aus.

Die Friseurin kümmert sich um meinen Kopf und dazu lullen mich ihre Geschichten von kleinen Wehwehchen und von den großen Schrecknissen ein, wie sie von BILD täglich nicht nur in die Köpfe deutscher Friseurinnen geliefert werden. Zwischendurch lässt sie der Dramatik wegen immer mal kurz ihre Hand auf meiner Schulter ruhen, eine durchaus angenehme Geste. Im Damensalon wird derweil der Verlust von Kollegialität und Kameradschaft bedauert, was ich bemerkenswert finde, denn Kollegialität und Kameradschaft stammen eigentlich aus eher verschiedenen Zeitaltern und Zusammenhängen. Auch das bestätigende “Freilich!”, das ich jetzt höre, kommt aus Kindertagen, so redet heute kaum jemand. Noch ein wenig Kamm und Schere und zum Abschluss der Spiegel zur Begutachtung des Hinterkopfes. “Hm, ja, ist okay. Danke.“ So hab ich´s gekriegt. Mit der Maschine. Wie immer.

Dienstag, 17. Juni 2008

Schild & Bürger 1

Polizei ist im Einsatz, Feuerwehr und Rettungssanitäter. Jetzt weiß ich, dass Tauben und ihre Züchter (=Herrchen und Frauchen?) auch im Einsatz sind. Und eine Einsatzstelle haben - siehe Schild. Einsatz in Gommern. Und der Rest der nicht Tauben besitzenden Menschheit ist, wie man liest, neidisch. Das ist vermutlich einfach nur witzisch gemeint, solchen Besitzerhumor finde ich aber eher albern. Zumal er noch mit dieser Art von Wandteller- und Sammeltassenkitsch des 19. Jahrhunderts daherkommt, wo Tauben immer flattern und turteln.

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Sonntag, 15. Juni 2008

Schwarz-rot-geil?

Hier in der Provinz ist das “schwarz-rot-geil” derzeit eher “schwarz-rot-gähn“. Noch dazu genormt. Wenn man Nationalfarben sieht, dann sind es Fähnchen, die ins Autofenster geklemmt werden. Jedes dritte, vierte Auto hat zur Zeit so ein Ding. Und alle dieselben. Vermutlich eine Millionenlieferung aus China. Genormtes Bekenntnis. Ich habe nichts dagegen aber auch kein Bedürfnis mitzumachen.
Wenigstens schreit keiner mehr “Wehret den Anfängen!” oder hebt den Zeigefinger ob der Gefahren des Nationalismus. Mal sehen, wie sich Löws Truppe morgen aus der Affäre zieht. Ich als Gelegenheits-Fußball-Fan werde die Gelegenheit nutzen und auch den Fernseher einschalten. Schaun mer ma…

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